Kategorie: Auslegung

Auslegung des Sonntagsevangeliums

  • Das Erwachen aus der Sorglosigkeit

    Auslegung zum Evangelium vom 3. Fastenso. – C Unglück bei Bauarbeiten und der unfruchtbare Feigenbaum. (Lk 13,1-9)

    Allzu leicht wiegen wir uns in Sorglosigkeit, wenn unser Leben ruhig dahinfließt. Doch wenn ein Unglück in unserer Familie oder in der Welt die gewohnte Ordnung durchbricht, schrecken wir auf. Jesus macht sich diese menschliche Reaktion bewusst zunutze. Im jüdischen Denken seiner Zeit nahm man häufig an, dass Unglück eine direkte Folge von Sünde sei. Jesus aber widerspricht dieser vereinfachenden Sichtweise, indem er uns alle als erlösungsbedürftige Menschen anspricht.

    Bei Unglück und Leid suchten die Menschen damals wie heute nach einem Schuldigen. Als seine Jünger einem Blindgeborenen begegneten, fragten sie: „Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst? Oder haben seine Eltern gesündigt, so dass er blind geboren wurde?“ (Joh 9,2). Jesus durchbricht dieses Denkmuster und weist jede einfache Schuldzuweisung zurück.

    Christus geht es nicht um Anklage, sondern um Umkehr. Die Menschheit hat sich in vielem von Gott entfernt. Diese Gottesferne ist bereits das eigentliche Unglück. Wir haben oft den Sinn für Gottes Nähe verloren und das Gespür für sein Wirken in unserem Alltag eingebüßt.

    Um dieses Gespür zu wecken, verwendet Jesus manchmal aufrüttelnde Worte. Er spricht von einem Unglück beim Bau des Turmes von Siloah, bei dem achtzehn Menschen starben. Statt Trauer auszudrücken, sagt er: „Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt.“ Diese Worte müssen die Zuhörer tief erschüttert haben. Jesus will damit nicht Furcht verbreiten, sondern uns zur Besinnung rufen – zur Umkehr, solange noch Zeit ist.

    Die Hinwendung des Menschen zu Gott ist für Jesus von höchster Bedeutung. Um uns dazu zu bewegen, nutzt er verschiedene Zugänge: Er lädt ein wie ein König zum Festmahl, er heilt Menschen von ihren Leiden, er verheißt allen, die ihm nachfolgen, Leben in Fülle. Wie ein guter Hirte seine verlorenen Schafe sucht, so ruft er uns – mal sanft lockend, mal aufrüttelnd, immer aber aus Liebe.

    Das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum ergänzt diese Botschaft: Gott schenkt uns Geduld und neue Chancen. Der Gärtner setzt sich für den Baum ein, pflegt ihn besonders, gibt ihm Zeit. Doch die Erwartung bleibt: Unser Leben soll Frucht bringen. Die gute Nachricht lautet: Gottes Geduld ist größer als unsere Trägheit. Seine Barmherzigkeit umfasst auch unser Scheitern. Seine Liebe lädt uns immer wieder neu ein, zu ihm umzukehren und aus seiner Kraft zu leben.

    von P. Oliver Heck

  • Der brennende Dornbusch – Gottes lebendige Gegenwart

    (Auslegung zu Ex 3,1-8a.13-15, 1. Lesung am 3. Fastenso. – C)

    Ein lieber Mensch schenkt durch seine Nähe Trost und vertreibt die Einsamkeit. Er bereichert unser Leben durch seine treue Begleitung, geht mit uns durch Höhen und Tiefen. Solch ein Freund ist wahrhaft unbezahlbar. In schweren Stunden schenkt er ein offenes Ohr und Verständnis. Seine Ratschläge kommen aus einem mitfühlenden Herzen – weder bevormundend noch gleichgültig. In Zeiten der Not erkennen wir, wer wirklich zu uns steht. Der echte Freund bleibt an unserer Seite, während der falsche nur seinen eigenen Vorteil sucht.

    Doch selbst der treueste Freund hat Grenzen. Wir Menschen können nicht überall zugleich sein. Unsere Verfügbarkeit ist begrenzt durch Zeit und Raum.

    Gott hingegen ist anders. Seine Gegenwart kennt keine Grenzen. Er ist immer und überall da – hier und jetzt. Wenn wir einen menschlichen Freund sehen und hören, wissen wir: Er ist anwesend. Sehen wir ihn nicht, ist er fort. Bei Gott ist es grundlegend anders. Seine Gegenwart hängt nicht von unserem Empfinden ab. Er ist nicht nur da, wenn wir seine Nähe spüren, sondern gerade auch dann, wenn er uns abwesend erscheint. In den Momenten, wo wir ihn nicht wahrnehmen, trägt er uns besonders.

    Dies erinnert an die Geschichte einer Frau, die auf ihr Leben zurückblickte. Ihr Lebensweg erschien ihr wie Spuren im Sand am Meeresstrand. Sie sah zwei Spuren nebeneinander – ihre eigenen kleinen Fußabdrücke und daneben die Spuren Gottes, der sie an der Hand hielt. An manchen Stellen erkannte sie jedoch nur eine Spur. Vorwurfsvoll fragte sie: „Siehst du, ich habe es geahnt. In jenen schweren Jahren hast du mich verlassen.“ Gott antwortete liebevoll: „Nein, meine Liebe. Das waren die Zeiten, in denen ich dich getragen habe, weil du nicht mehr alleine gehen konntest.“

    Gottes Zusage „Ich-bin-da“ ist von unermesslichem Trost. Es ist die vollkommene Garantie seiner Präsenz. Zwar können auch Menschen uns ihre Anwesenheit zusichern, und viele von uns erfahren die liebevolle Nähe besonders intensiv durch Mutter oder Vater. Doch Gottes Dasein übersteigt jede menschliche Gegenwart.

    Seine Präsenz bedeutet, dass die Fülle des Lebens und der Liebe beständig ist. Alles Geschaffene durchläuft einen Kreislauf – es entsteht, blüht auf und vergeht wieder. Alles Geschöpfliche ist unvollkommen und vom „Nichts“ bedroht. Gottes Gegenwart jedoch gleicht einem Feuer, das wärmt und erleuchtet, ohne zu zerstören.

    Genau das sehen wir im brennenden Dornbusch: Das Feuer brannte, verzehrte aber den Dornbusch nicht. Die zerstörerische Kraft des Feuers war aufgehoben. Wie lebendig ist ein Feuer! Es fasziniert uns mit seinem ständigen Wandel von Formen und Farben. Es birgt gewaltige Kraft und bleibt doch oft erstaunlich still.

    Dieses Bild hilft uns, Gottes Gegenwart in unserem Leben zu verstehen. Seit unserer Taufe wohnt der Heilige Geist in uns. Er wirkt wie dieses besondere Feuer: Er erwärmt unser Herz und erleuchtet unseren Verstand. Dieses göttliche Feuer kann machtvoll in uns wirken und unsere Liebe entfachen, ohne uns jemals zu schaden. Es ist kein verzehrendes, sondern ein belebendes Feuer – Gottes ewiges „Ich-bin-da“ in unserer Mitte.

    von P. Oliver Heck

  • Die Verklärung Jesu: verborgene Identität Jesu

    Anregung zur Verklärung Jesu nach Lukas

    Es gibt Momente im Leben, in denen sich für einen kurzen Augenblick der Schleier hebt und etwas Tieferes durchscheint. Der alte Jazzmusiker, der abends im dämmrigen Licht seines Wohnzimmers plötzlich eine Melodie findet, die mehr zu sein scheint als bloße Noten. Die Mutter, die im erschöpften Gesicht ihres schlafenden Kindes eine Schönheit erkennt, die über das Sichtbare hinausgeht.

    Der Evangeliumstext von der Verklärung Jesu erzählt von einem solchen Moment – einem Ereignis, das die Jünger Petrus, Johannes und Jakobus bis ins Mark erschütterte.

    Das Aufleuchten der Wahrheit

    Jesus nimmt seine engsten Vertrauten mit auf einen Berg zum Gebet. Während er betet, geschieht das Unfassbare: Sein Angesicht verändert sich, seine Kleider leuchten wie Blitze. Mose und Elia erscheinen und sprechen mit ihm über seinen bevorstehenden „Exodus“ in Jerusalem – sein Leiden und Sterben.

    Was hier geschieht, ist keine Verwandlung Jesu in etwas Fremdes. Es ist vielmehr die Enthüllung dessen, was er in Wahrheit ist. Für einen kurzen Moment wird das Verborgene sichtbar, das Göttliche durchscheint das Menschliche.

    Ist es nicht auch in unserem Leben so? Der Theologe Paul Tillich spricht von „Momenten, in denen die Ewigkeit die Zeit berührt.“ Augenblicke, in denen wir ahnen, dass unser Leben mehr ist als die Summe unserer Tage, mehr als das, was nach außen sichtbar wird.

    Die Spannung aushalten

    Bemerkenswert ist: Mitten in diesem Moment strahlender Herrlichkeit steht das Gespräch über den Tod. Diese Spannung zwischen Herrlichkeit und Niedrigkeit durchzieht Jesu ganzes Leben – vom „Dies ist mein auserwählter Sohn“ bis zum „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

    Kennen wir nicht auch diese Spannung? Der Mann, der nach der Krebsdiagnose plötzlich mit einer nie gekannten Klarheit das Leben wahrnimmt. Die Frau, die nach dem Verlust eines geliebten Menschen in ihrer tiefsten Trauer zugleich die Kostbarkeit jeder Begegnung neu versteht.

    Unser Glaube verspricht kein Leben ohne Leid, sondern die Gewissheit, dass im Leid, in der Niedrigkeit, die Herrlichkeit bereits verborgen gegenwärtig ist. Wie Jesus durch Leiden und Tod zur Auferstehung ging, so dürfen auch wir hoffen, dass unsere Dunkelheiten nicht das letzte Wort haben.

    Zwischen Festhalten und Loslassen

    Wie reagieren die Jünger? Sie sind wie benommen, zwischen Wachen und Schlafen. Petrus, überwältigt, will Hütten bauen – das Unfassbare festhalten, das Überwältigende in den Griff bekommen.

    Wie oft geht es uns genauso! Die junge Frau, die nach einer tiefen spirituellen Erfahrung versucht, dieses Gefühl immer wieder herzustellen und dabei vergisst, dass echte Gottesbegegnung ein Geschenk ist, nicht ein Produkt unserer Bemühungen. Der Trauernde, der die Wohnung des Verstorbenen als Museum bewahrt und dabei verpasst, den Verstorbenen in seinem Herzen weiterziehen zu lassen.

    Aber das Göttliche lässt sich nicht festhalten. Die Wolke, Symbol der Gegenwart Gottes, hüllt sie ein, die Stimme spricht: „Dies ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.“ Und dann steigen sie vom Berg hinab.

    Vom Gipfelerlebnis in den Alltag

    Die Verklärung ist kein Dauerzustand. Jesus führt seine Jünger wieder ins Tal, zurück zu den wartenden Menschen mit ihren Nöten. So ist es auch in unserem Leben: Die Momente besonderer Gotteserfahrung wollen uns stärken für den Dienst an anderen, für den Weg, der vor uns liegt.

    Die Jünger verstehen erst nach der Auferstehung, was sie erlebt haben. Auch wir erkennen oft erst im Rückblick, welche Bedeutung bestimmte Erfahrungen für uns hatten. Der vermeintliche Umweg, der sich im Nachhinein als der einzig richtige Weg erweist. Die schmerzhafte Trennung, die uns zur Selbsterkenntnis führte.

    Wandlung und Teilhabe

    Letztlich geht es bei der Verklärung nicht nur um Jesus, sondern auch um uns. Die Jünger begreifen die wahre Identität des Sohnes. Die Verklärung geschieht besonders für sie und in ihnen. Sie werden selbst verklärt, indem sie Zeugen der Herrlichkeit werden.

    Liebe Gemeinde, die Geschichte der Verklärung lädt uns ein, wach zu sein für die Momente, in denen Gottes Wirklichkeit in unserem Leben aufleuchtet. Sie lehrt uns, die Spannung zwischen Offenbarung und Verborgenheit auszuhalten und darauf zu vertrauen, dass unser Leben, mit all seinen Höhen und Tiefen, in Gottes Händen liegt.

    „Dies ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.“ Diese Stimme gilt es zu vernehmen, diesem Sohn zu folgen – im Alltag, in der Niedrigkeit und in der Hoffnung auf die kommende Herrlichkeit.

    von P. Oliver Heck

  • Die Verklärung Jesu: Gebet verwandelt

    Anregung zur Verklärung Jesu nach Lukas

    Jesus steigt auf einen Berg und betet intensiv. Während er betet, verändert sich sein Aussehen. Er leuchtet, er strahlt so weiß wie die Sonne. Aus einer Wolke ertönt die göttliche Stimme: „Dies ist mein geliebter Sohn.“ Die drei Jünger, die dabei sind, kommen aus dem Staunen nicht heraus. Jesus verbietet ihnen, davon zu reden, bevor er von den Toten auferstanden sei.

    Liebe Gemeinde,

    Haben Sie schon einmal einen Moment erlebt, der die Zeit stillstehen ließ? Einen Augenblick, in dem Sie spürten, dass Sie Zeuge von etwas Außergewöhnlichem wurden? So muss es Petrus, Johannes und Jakobus ergangen sein auf dem Berg Tabor.

    Berg der Hoffnung

    Warum nahm Jesus gerade diese drei Jünger mit? Vor ihm lag das Drama seines Leidens und seiner Kreuzigung – eine Dunkelheit, deren Schatten bereits auf seinen Weg fiel. In unserer eigenen Lebenswirklichkeit kennen wir diese Schatten: Eine schwere Diagnose, zerbrochene Beziehungen, die lähmende Angst vor einer ungewissen Zukunft.

    Jesus wollte seinen Jüngern erfahrbar zeigen: „Leid und Tod werden nicht das letzte Wort haben.“ Die Verklärung öffnete für einen kurzen Moment ein Fenster in eine tiefere Wirklichkeit – einen Vorgeschmack auf das Leben, das über alle Dunkelheit hinausreicht. Nicht als Vertröstung, sondern als Kraftquelle für den Weg durch die Tiefe von Golgatha.

    Die verwandelnde Kraft des Gebetes

    Jesus betete, und daraufhin wurde er leuchtend. Die Evangelien berichten immer wieder, wie Jesus sich zum Gebet zurückzog – nicht als religiöse Pflichtübung, sondern als existenzielle Verbindung zu seinem Vater.

    Kennen Sie diese Momente, in denen wir innerlich ausgelaugt sind, gefangen im Hamsterrad unserer Verpflichtungen? Gerade dann lädt uns die Verklärungsgeschichte ein, innezuhalten.

    Das Gebet verändert uns. Nicht spektakulär, nicht sofort sichtbar wie bei Jesus auf dem Berg. Aber stetig und tiefgreifend. Es ist wie bei einer Freundschaft – sie wächst durch regelmäßige, aufmerksame Zuwendung.

    Eine Frau erzählte: „Nach dem Tod meines Mannes fühlte ich mich wie in einem dunklen Tunnel. Ich konnte nicht mehr beten, nur noch schweigen. Aber in diesem Schweigen vor Gott spürte ich langsam wieder Boden unter den Füßen. Nicht weil sich meine Umstände änderten, sondern weil sich mein Blick veränderte.“

    Neue Perspektive

    Wenn wir uns regelmäßig in die Gegenwart Gottes begeben, beginnen wir, unser Leben in einem anderen Licht zu sehen. Vieles, dem wir im Alltag nachjagen, verliert an Bedeutung.

    Diese veränderte Perspektive schenkt eine tiefe Gelassenheit. Nicht eine naive Sorglosigkeit, sondern ein Vertrauen, das Probleme anders einordnet. „Nicht dass ich den Stürmen des Lebens entgehe,“ sagte mir ein älteres Gemeindemitglied, „aber ich weiß, wer mit mir im Boot sitzt.“

    Im Gebet öffnet sich unser Herz auch für die Menschen um uns herum. Wir beginnen, sie mit anderen Augen zu sehen – nicht mehr als Konkurrenten, sondern als Menschen mit ihrer eigenen Geschichte und Sehnsucht. Wir nehmen sie mit in unser Gebet: „Herr, mein Nachbar ist krank. Stehe ihm bei. Zeige ihm, dass er nicht alleine ist…“

    Der Abstieg vom Berg

    Der Evangelist berichtet, dass nach diesem überwältigenden Erlebnis der Alltag wieder begann. Jesus und die Jünger stiegen vom Berg hinab, zurück in die Niederungen des Lebens, und schließlich nach Jerusalem, zum Kreuz.

    Die Verklärung will uns nicht auf dem Berg zurücklassen, in einer weltabgewandten Spiritualität. Sie will uns Kraft geben für den Abstieg, für den Weg durch die Täler unseres Lebens. Sie will uns Hoffnung schenken, wenn der Glaube zu verblassen droht.

    Liebe Gemeinde, wir sind eingeladen, uns von diesem Licht berühren zu lassen. Nicht um selbst zu glänzen, sondern um dieses Licht weiterzutragen – in die dunklen Ecken unserer Welt, in die Verzweiflung derer, die am Ende ihrer Kraft sind, in die Einsamkeit der Vergessenen.

    Die Verklärung Jesu ist keine fromme Geschichte aus vergangenen Zeiten. Sie ist die Verheißung, dass wir nicht allein sind in dieser manchmal kalten Welt, sondern getragen von einer Liebe, die stärker ist als der Tod.

    P. Oliver Heck

  • Von der Verklärung zum Alltag: Der Weg des Lichts

    Anregung zur Verklärung Jesu nach Lukas

    „What a wonderful world.“ – „Was für eine wunderbare Welt“, sang Louis Armstrong. Grüne Bäume, rote Rosen, der blaue Himmel – all das zeugt von der Schönheit unserer Welt. Doch wie oft nehmen wir diese Wunder wahr? In Zeiten, wo Katastrophenmeldungen unsere Aufmerksamkeit gefangen nehmen, ist es eine spirituelle Übung, das Schöne nicht zu übersehen.

    In diese Spannung zwischen Schönheit und Leid spricht das Evangelium von der Verklärung Jesu. Auf dem Berg Tabor gewährte Jesus drei auserwählten Jüngern einen Blick in eine andere Wirklichkeit – sein Angesicht leuchtete, seine Kleider strahlten weiß.

    Als Petrus vorschlug, drei Hütten zu bauen und dort zu verweilen, lehnte Jesus ab. Die Verklärung war kein Selbstzweck, kein spiritueller Rückzugsort. Sie sollte den Jüngern Kraft geben für den schweren Weg nach Jerusalem, zum Kreuz.

    So ist es auch mit unseren spirituellen Erfahrungen: Sie sind nicht dazu da, uns aus der Welt zu entrücken, sondern uns zu stärken, damit wir in der Welt wirken können.

    Das Leben spielt sich nicht auf Berggipfeln ab, sondern meist in den Ebenen und Tälern – in Familie, Beruf, Nachbarschaft. Dort sollen wir das Licht der Verklärung hineintragen.

    Wie können wir das konkret tun? Durch Werke der Barmherzigkeit, die unseren Alltag „verklären“:

    1. „Du gehörst dazu“ Wenn der neue Kollege aus dem Ausland zum Grillfest eingeladen wird. Wenn die alleinerziehende Mutter in der Gemeinde will­kommen ist. In solchen Momenten wird Gottes bedingungslose Annahme spürbar.
    2. „Ich höre dir zu“ – Ein echtes Gespräch, bei dem das Smartphone beiseitegelegt wird und wir ganz präsent sind, ist heute ein seltenes Geschenk.
    3. „Ich rede gut über dich“ – Stellen Sie sich vor, wir würden einen Tag lang bewusst nur das Positive an anderen wahrnehmen und aussprechen. Nicht aus Naivität, sondern aus der tiefen Überzeugung heraus, dass jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist, mit unentdeckten Gaben.
    4. „Ich teile mit dir“ – Teilen schafft Verbindung. In einer Welt wachsender Ungleichheit können wir fragen: Was kann ich teilen? Meine Zeit, mein Wissen, meine Ressourcen?
    5. „Ich besuche dich“ – In unserer individualisierten Gesellschaft sind viele Menschen einsam. Ein Besuch, ein Anruf kann für sie wie ein Lichtstrahl sein, der plötzlich durch verschlossene Fensterläden dringt.
    6. „Ich bete für dich“ – Im Gebet stellen wir andere in Gottes Licht. Das verändert nicht nur unsere Sicht auf sie, sondern kann auch verhärtete Haltungen in uns selbst auflösen.

    Als Jesus mit seinen Jüngern vom Berg der Verklärung herabstieg, wartete bereits eine leidende Menschenmenge – unter ihnen ein Vater mit seinem kranken Sohn. Jesus ging vom Gipfelerlebnis direkt ins Tal der Not. Aber er trug das Licht in sich und brachte es zu den Menschen.

    So sind auch wir gerufen, unsere Berg-Erfahrungen ins Tal des Alltags mitzunehmen. Nicht um in einer entrückten Spiritualität zu verweilen, sondern um die Welt mit dem Licht Christi zu durchdringen. In den Worten Armstrongs: „Ich höre Babies weinen. Ich sehe sie wachsen…“ – eine Hoffnung, dass jede Generation die Chance hat, etwas mehr Licht in die Welt zu tragen.

    Die Verklärung Jesu erinnert uns: Es gibt mehr als das Sichtbare. Diese Gewissheit gibt uns Kraft, den Alltag zu verwandeln – Schritt für Schritt, Begegnung für Begegnung, bis unsere wunderbare Welt etwas mehr von jenem Licht widerspiegelt, das auf dem Berg Tabor für einen Moment sichtbar wurde.

    P. Oliver Heck

  • Was bringt mir das?

    Predigt zum 1. Fastensonntag – Die Versuchung Jesu (Lk 4,1-13)

    „Was bringt mir das?“ – Eine Frage, die sich wie ein roter Faden durch unser Leben zieht. Sie begleitet uns beim Einkauf im Supermarkt, wo wir zögernd vor dem Regal stehen. Sie flüstert in uns, wenn wir morgens aufwachen und auf die Arbeit blicken, die vor uns liegt. Sie sitzt mit uns am Tisch, wenn wir über Beziehungen nachdenken. Eine unscheinbare Frage – und doch eine, die unsere tiefsten Wertvorstellungen offenbart.

    Die Bilanz unserer Entscheidungen

    „Was habe ich davon?“ In der Stille des Abends, wenn wir auf den Tag zurückblicken, berechnen wir oft unbewusst unsere persönliche Bilanz. Wir legen das Erlebte auf eine unsichtbare Waage: Hat sich der Kauf gelohnt? War die Mühe wert, was sie eingebracht hat?

    Im Arbeitsbereich hat diese Frage viele Gesichter: Ist mein Gehalt angemessen für das, was ich gebe? Finde ich Anerkennung? Entspricht meine Position meinen Fähigkeiten? Bleibt mir genügend Raum für mein Leben jenseits der Arbeit? Manchmal scheint die Rechnung aufzugehen, manchmal nicht.

    Im Gesundheitsbereich wird die Frage existenzieller: Was bringt mir eine Therapie an Lebensqualität? Welche Nebenwirkungen muss ich in Kauf nehmen? Welche Risiken trage ich bei einem Eingriff? Hier geht es nicht mehr um Zufriedenheit, sondern um Lebenszeit und Würde.

    Und schließlich übertragen wir diese Frage auf unsere tiefsten Bindungen: Was bringt mir diese Ehe noch? Was habe ich von dieser Beziehung? Hier zeigt sich die Gefahr dieser Frage am deutlichsten – denn Liebe lässt sich nicht berechnen. Sie folgt einer anderen Logik als der des Nutzens.

    Die Lebensbilanz am Horizont

    Je älter wir werden, desto mehr verdichtet sich diese Frage zu einer umfassenden Lebensbilanz: „Was habe ich vom Leben gehabt?“ Eine Frau erzählte mir kürzlich ihre Geschichte – eine Geschichte der Hingabe. Schon in jungen Jahren pflegte sie ihren Bruder, später kamen die Eltern hinzu, dann die Tante. Ihr Leben war geprägt vom Dienst, von unzähligen Stunden am Bett anderer.

    Mit leiser Bitterkeit in der Stimme fragte sie: „Habe ich nicht etwas versäumt? Was hatte ich eigentlich vom Leben?“ Ihre Augen wanderten zu imaginären anderen Leben: „Kaum Urlaub – vielleicht einmal im Jahr eine Woche bei Verwandten. Keine Freizeit, keine Hobbys. Und jetzt? Bin ich selbst erschöpft und krank.“

    Hat diese Frau ihre Lebensmöglichkeiten verpasst? Aus christlicher Sicht lautet die Antwort eindeutig: Nein! Denn jede Geste der Liebe, jedes geduldige Warten, jede sanfte Berührung eines kranken Menschen ist wie ein kostbares Juwel, das in Gottes Hand aufgehoben bleibt. Diese Frau hat nicht weniger, sondern mehr gelebt als viele andere – wenn auch anders als es unsere Gesellschaft oft als „erfolgreich“ definiert.

    Unterschiedliche Währungen des Lebens

    Man könnte die Frage auch umkehren: Was hat eine Frau am Ende ihres Lebens, die beruflich erfolgreich war, regelmäßig in den Urlaub fuhr, viele Vergnügungen genoss? Gewiss kann sie sich an zahlreiche schöne Erlebnisse erinnern und dankbar zurückblicken. Niemand wird ihr diese Erinnerungen nehmen.

    Aber was wiegt am Ende schwerer? Das Wissen, dass Gott die unzähligen Stunden selbstloser Hingabe an andere Menschen wahrnimmt und würdigt? Oder die Erinnerung an persönliche Freuden, die – so schön sie waren – vergänglich sind?

    Es geht hier nicht um ein Entweder-Oder. Das Leben ist kein Nullsummenspiel, in dem entweder Freude oder Hingabe gewinnen kann. Aber am Ende sind es die guten Werke, die liebevollen Worte, die mitfühlenden Gedanken, die bleiben – selbst wenn sie nur in kleinen Gesten bestanden.

    Der Gottesdienst jenseits des Nutzens

    In dieser Logik des „Was bringt es mir?“ fragen wir manchmal auch nach dem Gewinn unseres Glaubens: Was bringt mir das Gebet? Was habe ich vom Gottesdienst? Was nützt mir die Religion?

    Die ehrliche Antwort lautet oft: Manchmal spüren wir nichts davon. Manchmal bleibt der Himmel stumm. Manchmal erscheint uns der Gottesdienst als leere Routine. Und dennoch ist es gut, dem Schöpfer zu danken und sich täglich mit ihm zu verbinden.

    Wer Gott verehrt, tut etwas, das keinem unmittelbaren Zweck dient. Die Anbetung Gottes ist gerade deshalb so wertvoll, weil sie die Logik des Nutzens durchbricht. Sie folgt einer anderen Grammatik: der Grammatik der Beziehung. Wie ein Kind, das seiner Mutter eine Zeichnung schenkt – nicht weil sie nützlich ist, sondern aus Liebe.

    Praktizierende Christen investieren einen Teil ihrer kostbaren Lebenszeit in die gemeinsame Feier, in das persönliche Gebet, in den Dienst am Nächsten. Diese Zeit ist nicht verloren – sie verbindet uns mit dem Ursprung des Lebens selbst. Was kann es Größeres geben, als sich mit der Quelle allen Seins, mit der Fülle der Liebe zu vereinen?

    Die Versuchung Jesu – eine andere Antwort

    Am ersten Fastensonntag hören wir von der Versuchung Jesu in der Wüste. Der Versucher tritt an Jesus heran mit genau dieser Frage: „Was bringt es dir, Gottes Sohn zu sein, wenn du hungerst? Was nützt dir deine Gottessohnschaft, wenn du nicht davon profitierst?“

    Jesus antwortet aus einer radikal anderen Logik heraus: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“ Er lehrt uns damit, über die Berechnung des unmittelbaren Nutzens hinauszudenken.

    Was bringt es uns, zu lieben, zu beten, zu dienen? Vielleicht manchmal wenig, was wir unmittelbar spüren können. Aber es verwandelt uns langsam in Menschen, die dem Bild Gottes ähnlicher werden – in Menschen, die fähig sind, über die enge Rechnung des Eigennutzes hinauszuwachsen.

    Nutzen und Liebe folgen unterschiedlichen Gesetzen. Die Fastenzeit lädt uns ein, neu zu entdecken, was es bedeutet, aus der Fülle der Liebe zu leben statt aus der Berechnung des Vorteils.

    von P. Oliver Heck

  • Die Versuchung Jesu – Ein Spiegel unserer menschlichen Erfahrung

    zu Lk 4,1-13

    Das Evangelium vom ersten Fastensonntag führt uns in die Wüste, wo Jesus versucht wird. Diese Erzählung mag uns zunächst erstaunen: Wie kann der Sohn Gottes überhaupt versucht werden? Doch gerade in dieser Spannung offenbart sich das tiefe Geheimnis der Menschwerdung Christi. Er ist nicht nur in unsere Welt gekommen, sondern hat vollständig an unserer menschlichen Existenz teilgenommen – mit allen Herausforderungen, die das bedeutet.

    Seit Anbeginn ringt der Mensch mit Versuchungen. Da Jesus wahrhaft Mensch wurde, stellte er sich auch dieser zutiefst menschlichen Erfahrung. Verstehen wir: In Versuchung zu geraten ist keine Sünde an sich. Erst das Nachgeben entfernt uns von Gott. Jesus wurde „in allem uns gleich, außer der Sünde“ – und gerade in seinem Widerstehen zeigt er uns einen Weg durch unsere eigenen Kämpfe.

    Das Evangelium enthüllt drei grundlegende Versuchungsmuster, die uns bis heute begleiten:

    Die Versuchung der Macht – wenn Satan Jesus die Herrschaft über alle Reiche anbietet. Die Versuchung der Sinnlichkeit – wenn der Hungernde verführt wird, Steine zu Brot zu machen. Die Versuchung der Selbstvergöttlichung – wenn der Mensch sich anmaßt, Gottes Platz einzunehmen.

    Betrachten wir zunächst die Versuchung der Sinnlichkeit. Sie erscheint oft am offensichtlichsten: Wenn die Genüsse des Lebens unseren Blick für das Wesentliche trüben. Denken Sie an den Geschäftsmann, der für den nächsten beruflichen Erfolg seine Familie vernachlässigt. Oder an die junge Frau, die in der endlosen Spirale sozialer Medien gefangen ist, ständig nach dem nächsten Like hungert und dabei die echten Begegnungen verpasst. Es müssen nicht immer die drastischen Beispiele wie Alkohol- oder Drogenabhängigkeit sein – oft sind es die subtilen, alltäglichen Ablenkungen, die uns von einem erfüllten Leben abhalten.

    Wenn wir ehrlich in unser eigenes Leben blicken – wo verlieren wir uns in momentanen Befriedigungen, die letztlich leer bleiben? Vielleicht ist es der reflexartige Griff zum Smartphone, wenn eine unangenehme Stille entsteht. Oder die Flucht in Konsum, wenn wir uns mit schwierigen Gefühlen konfrontiert sehen. Diese kleinen Ausweichmanöver können zu Mustern werden, die uns langsam von uns selbst und von Gott entfernen.

    Die Versuchung der Macht begegnet uns in vielfältigen Formen. Wir sehen sie in den Schlagzeilen über Manager, die sich auf Kosten ihrer Mitarbeiter bereichern. Aber seien wir wachsam – sie lauert auch in unserer unmittelbaren Nähe. In der Familie, wenn Eltern ihre Position gegenüber ihren Kindern missbrauchen, um ihren Willen durchzusetzen, statt zuzuhören. In Freundschaften, wenn wir vertrauliche Informationen weitergeben, um uns wichtig zu machen. In der Gemeinde, wenn wir andere durch unser vermeintlich überlegenes Wissen kleinhalten.

    Macht zeigt sich oft subtil in der Art, wie wir kommunizieren. Wenn ich sage: „Ich weiß etwas, was du nicht weißt“ – schaffe ich ein Gefälle. Wenn ich Gerüchte säe oder Informationen zurückhalte, manipuliere ich mein Umfeld. Diese Machtspiele können tiefe Wunden hinterlassen – in Familien, Freundschaften und Gemeinschaften.

    Die dritte Versuchung ist vielleicht die tiefgreifendste: sich an die Stelle Gottes zu setzen. In ihrer extremen Form erkennen wir sie in Wissenschaftlern, die glauben, den Menschen vollständig erklären oder gar neu erschaffen zu können. Doch auch hier lohnt der ehrliche Blick nach innen: Wie oft leben wir, als hätte Gott kein Mitspracherecht in unserem Leben?

    Dies geschieht, wenn wir uns anmaßen, autonom zu entscheiden, was richtig und falsch ist, ohne nach Gottes Willen zu fragen. Wenn wir unsere Komfortzone zum Maßstab aller Dinge machen. Wenn wir den Sonntag nach unseren Bedürfnissen gestalten, statt nach seiner Einladung zur Gemeinschaft. Diese alltägliche Selbstvergöttlichung ist vielleicht die heimtückischste aller Versuchungen.

    Die Ironie liegt darin, dass wir gerade in dem Moment, wo wir uns von Gott unabhängig wähnen, besonders anfällig werden für andere Abhängigkeiten: von der Meinung anderer, von gesellschaftlichen Trends, von flüchtigen Gefühlen. Wahre Freiheit findet sich nicht in der Loslösung von Gott, sondern in der bewussten Bindung an ihn.

    Liebe Gemeinde, der Glaube an Gott ist mehr als ein abstraktes Bekenntnis. Er fordert eine Antwort unseres ganzen Lebens. Wenn ich sage „Ich glaube an Gott“, muss dies Konsequenzen haben – in meinen Entscheidungen, meinen Prioritäten, meinen Beziehungen.

    Jesus zeigt uns in der Wüste, wie wir diesen Versuchungen begegnen können: nicht durch eigene Kraft, sondern indem wir uns auf Gottes Wort stützen. Bei jeder Versuchung antwortet er mit „Es steht geschrieben…“ – er verankert sich in einer Weisheit, die tiefer reicht als seine momentanen Bedürfnisse.

    In dieser Fastenzeit sind wir eingeladen, unsere eigenen Wüstenorte aufzusuchen. Orte der Stille und Selbstreflexion. Orte, an denen wir unseren Versuchungen ins Auge blicken und uns neu für Gott entscheiden können. Nicht aus eigener Kraft, sondern in dem Vertrauen, dass der, der selbst durch die Versuchung gegangen ist, uns auf diesem Weg begleitet.

  • Mut zur Selbstbegegnung

    Der Splitter im Auge des anderen und der Balken im eigenen Auge

    zu Lk 6, 39–45, 8. So. i.Jk.-C

    Jesus fordert uns in seiner Predigt im Evangelium auf, uns selbst kritisch zu hinterfragen mit der eindringlichen Frage: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Nächsten, erkennst aber den Balken im eigenen Auge nicht?“

    Auch in den Sprüchen heißt es: „Jeder Weg eines Menschen ist recht in seinen Augen, aber der HERR prüft die Herzen.“ Sprüche 21,2 Diese Worte berühren eine tiefe Wahrheit: Wir Menschen neigen dazu, unsere eigenen Handlungen zu rechtfertigen, während Gott unsere wahren Absichten und verborgenen Fehler erkennt.

    Warum fällt es uns so schwer, den eigenen Balken zu sehen? Es ist nicht bloß böser Wille, sondern eine Eigenart unseres Menschseins. Wir tragen einen blinden Fleck in unserer Wahrnehmung. Unser Blick ist nach außen gerichtet, und um uns selbst zu betrachten, benötigen wir einen Spiegel. Manchmal können andere Menschen für uns dieser Spiegel sein – auch wenn ihr Bild von uns manchmal verzerrt erscheinen mag.

    Wenn jemand uns auf eine unserer Schwächen aufmerksam macht, spüren wir oft einen inneren Widerstand. Es schmerzt, mit den eigenen Unzulänglichkeiten konfrontiert zu werden. Diese Abwehr ist zutiefst menschlich – wir sehnen uns danach, vor anderen und vor uns selbst in gutem Licht zu stehen. Wir streben nach Anerkennung und Zuwendung.

    Denken Sie an einen Moment, in dem Sie kritisiert wurden. Wie schnell haben Sie nach Rechtfertigungen gesucht? Wie rasch haben Sie die Aufmerksamkeit auf die Schwächen des anderen gelenkt? Bei uns selbst schauen wir auf unsere guten Absichten, bei anderen oft nur auf ihr Verhalten. „Ich wollte ja nur helfen,“ sagen wir, während wir beim anderen denken: „Wie konnte er nur so reagieren?“

    Das Evangelium gibt uns einen klaren Auftrag: Bevor wir den Splitter im Auge des anderen suchen, sollten wir den Balken im eigenen Auge wahrnehmen. Doch wie kann das in unserem Alltag gelingen?

    Der erste Schritt ist, unsere Schwächen anzunehmen, ohne uns selbst zu entwerten. Selbsterkenntnis bedeutet nicht Selbstverurteilung. Es geht vielmehr um einen liebevollen, aber ehrlichen Blick auf uns selbst. Je mehr wir davon überzeugt sind, keine Fehler zu haben, desto schwieriger wird es, Schwächen anzuerkennen.

    Vielleicht kennen Sie das Gefühl, wenn eine Erkenntnis über sich selbst wie ein Lichtstrahl durch die Selbsttäuschung bricht: „So hatte ich mich noch nie gesehen!“ Es kann schmerzhaft sein, aber auch befreiend. Diese Momente der Klarheit sind Geschenke auf unserem Weg.

    Und wenn wir nicht gerade im Wettbewerb mit jemandem stehen, sondern von guten Freunden umgeben sind, können wir solche Erkenntnisse sogar teilen: „Stell dir vor, was mir bewusst geworden ist. Ich dachte immer, ich wäre so geduldig mit anderen, und dann hat mich jemand darauf aufmerksam gemacht, wie schnell ich eigentlich urteile. Es war nicht leicht zu hören, aber jetzt verstehe ich mich selbst ein Stück besser.“

    Vielleicht wird ein Freund dann leise nicken und antworten: „Ja, das kenne ich auch von mir.“

    Niemand von uns ist vollkommen. Wir alle tragen unsere typischen Schwächen mit uns, die wir nicht einfach abstreifen können wie ein altes Kleid. Selig, wer damit gelassen und weise umgehen kann, ohne sich selbst oder andere zu verurteilen.

    Jesus lädt uns ein zu einem Leben in Wahrhaftigkeit – zu einem barmherzigen Blick auf uns selbst und auf unsere Mitmenschen. Wenn wir unsere eigenen Balken erkennen, werden wir behutsamer im Umgang mit den Splittern der anderen. Und vielleicht entdecken wir dabei, dass wir alle gemeinsam unterwegs sind – bedürftig und doch geliebt, unvollkommen und doch von Gott angenommen.

    von P. Oliver Heck

  • Vergeben, Barmherzigkeit und Feindesliebe

    Vergeben, Barmherzigkeit und Feindesliebe

    zur Feldpredigt Jesu (Lk 6,27-38)

    Stellen Sie sich vor, Sie sitzen an einem warmen Sommertag auf dem Hang eines Berges. Um Sie herum Menschen, die gebannt den Worten eines Mannes lauschen, der von etwas spricht, das unser tiefstes Wesen herausfordert: „Liebet eure Feinde.“ Diese Worte Jesu treffen uns bis heute ins Mark, denn sie berühren einen der verwundbarsten Punkte unseres Menschseins.

    Wenn uns jemand verletzt, spüren wir einen uralten Mechanismus in uns erwachen. Unser Herz schlägt schneller, unsere Muskeln spannen sich an – wir sind bereit zur Verteidigung oder zur Flucht. Diese Reaktion haben wir nicht nur mit unseren tierischen Verwandten gemeinsam, sie ist tief in unserem Wesen verankert, ein Echo unserer evolutionären Geschichte.

    Doch Jesus lädt uns ein, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Seine Aufforderung zur Feindesliebe ist keine naive Romantik, sondern ein radikaler Weg zur Transformation unserer zwischenmenschlichen Beziehungen. Wenn wir ehrlich sind, kennen wir alle diese inneren Widerstände: „Wenn ich nachgebe, werde ich als schwach angesehen.“ „Wenn ich vergebe, wird der andere das nur ausnutzen.“ Diese Gedanken sind wie schwere Steine, die uns den Weg zur Versöhnung versperren.

    Denken Sie an einen Moment in Ihrem Leben, wo Sie tief verletzt wurden. Spüren Sie die Schwere dieser Erinnerung? Jesus wusste um diese menschliche Erfahrung. Am Kreuz rang er selbst mit der übermenschlichen Aufgabe der Vergebung: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Diese Worte waren keine leichtfertige Geste, sondern entstanden aus tiefem innerem Ringen.

    vergeben, Barmherzigkeit, Feindesliebe
    Foto von Dmitri Leiciu form PxHere

    Der Weg der Vergebung ist wie das Öffnen eines verkrampften Fingers nach einer Verletzung – schmerzhaft und behutsam zugleich. Es geht nicht darum, Unrecht zu rechtfertigen oder sich selbst zu verleugnen. Vielmehr geht es um die tiefe Erkenntnis, dass der Kreislauf von Vergeltung und Gewalt nur durchbrochen werden kann, wenn jemand den Mut hat, einen ersten Schritt aus der Spirale heraus zu wagen.

    Dabei übersehen wir oft eine wichtige Wahrheit: In den meisten Konflikten gibt es keine eindeutige Schuldzuweisung. Wenn wir genau hinschauen, erkennen wir oft ein komplexes Gewebe von Missverständnissen, verletzten Gefühlen und unerfüllten Erwartungen. Der Glaube, der andere müsse den ersten Schritt tun, weil er „schuld“ sei, ist oft eine Sackgasse, in der beide Seiten gefangen bleiben.

    Die Kraft zur Feindesliebe können wir nicht aus uns selbst schöpfen. Sie ist ein Geschenk der Gnade, das wir nur in der Verbindung mit Gott empfangen können. Wie ein Weinstock seine Reben nährt, so nährt uns die Gegenwart Christi mit der Kraft zur Vergebung.

    Wenn Sie das nächste Mal spüren, wie Wut oder Verbitterung in Ihnen aufsteigen, halten Sie einen Moment inne. Atmen Sie bewusst und erinnern Sie sich daran, dass auch Ihr „Feind“ ein Mensch ist, mit eigenen Ängsten, Verletzungen und Hoffnungen. Vielleicht ist dies der erste kleine Schritt auf dem Weg zur Feindesliebe – nicht als große heroische Geste, sondern als behutsames Öffnen des Herzens für die Möglichkeit der Versöhnung.

    Denn letztlich ist die Feindesliebe nicht nur ein Gebot Jesu, sondern auch der einzige Weg zu wahrem Frieden – in unseren Familien, in unserer Gesellschaft und in unserem eigenen Herzen. Sie ist der Weg, der uns aus der Gefangenschaft unserer eigenen Verbitterung befreit und uns die Tür zu einem Leben in echter Freiheit öffnet.

    von P. Oliver Heck

    externer Link: Tag der Vergebung

  • Der Ruf nach Leben in Fülle: Zu Lk 6,17.20-26

    Der Ruf nach Leben in Fülle: Zu Lk 6,17.20-26

    Ansprache zu Lk 6, 17.20–26: Feldpredigt Jesu mit Seligpreisungen und Weherufen. (6. So. i.Jk. C)

    Als Jesus seine Feldpredigt hielt, drängten sich Menschen um ihn – nicht in einer geordneten Kirchenbank, sondern im Staub Palästinas. Tagelöhner, die nicht wussten, ob sie morgen Arbeit finden würden. Fischer, deren Netze leer geblieben waren. Kranke, die von der Gesellschaft ausgeschlossen wurden. Menschen, die unter der dreifachen Last der römischen Besatzung, der religiösen Vorschriften und der wirtschaftlichen Not ächzten.

    Feldpredigt, Arm und Reich, Isreal

    In diese Realität hinein sprach Jesus seine Botschaft vom Reich Gottes. Es war keine abstrakte Predigt über Armut und Reichtum, sondern eine Botschaft, die die Grundfesten der damaligen Gesellschaftsordnung erschütterte. In der Antike galt Armut als Zeichen göttlicher Ungnade, Reichtum als Beweis göttlichen Segens. Jesus stellte diese Weltdeutung radikal auf den Kopf.

    Diese Umkehrung der Perspektive durchzieht wie ein roter Faden die biblische Tradition. Im Buch Exodus hören wir Gottes leidenschaftlichen Ruf: „Ich habe das Elend meines Volkes gesehen […] Ich kenne ihr Leid“ (Ex 3,7). Es ist keine distanzierte Beobachtung, sondern die Stimme eines Gottes, der sich vom Leid seines Volkes zutiefst berühren lässt. Der Psalmist greift diese Erfahrung auf, wenn er betet: „Er rettet den Gebeugten, der um Hilfe schreit, den Armen und den, der keinen Helfer hat“ (Ps 72,12).

    Gottes besondere Zuwendung zu den Armen entspringt nicht einem romantischen Ideal von Armut. Im Gegenteil: Weil Gott selbst die Fülle des Lebens verkörpert, steht jeder Mangel, jede Entbehrung, jede Form von Ausgrenzung im Widerspruch zu seinem Willen. Seine Parteinahme für die Armen ist Ausdruck seiner Vision vom Leben in Fülle für alle Menschen.

    Die Warnung Jesu vor den Gefahren des Reichtums zeigt dabei eine erstaunliche Differenziertheit. Er begegnete dem römischen Hauptmann von Kafarnaum, einem Mann von beträchtlichem Einfluss, mit Respekt (Lk 7,4ff). Er nahm die Unterstützung wohlhabender Frauen wie Johanna und Susanna an (Lk 8,3). Dies verdeutlicht: Nicht der Besitz an sich ist das Problem, sondern die Art, wie Menschen sich davon vereinnahmen lassen, wie er ihren Blick auf die Welt und ihre Mitmenschen prägt.

    Die Geschichte lehrt uns: Wo Menschen Macht und Reichtum anhäufen, verlieren sie oft den Bezug zur Realität. Im römischen Reich lebten wenige in unvorstellbarem Luxus, während die Masse der Bevölkerung kaum das Nötigste hatte. Es ist ein Muster, das sich durch die Jahrhunderte zieht, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen.

    Das Evangelium lädt uns heute ein, unsere eigene Position in diesem Gefüge ehrlich zu reflektieren. Der Satz unseres Grundgesetzes „Eigentum verpflichtet“ (Art. 14,2) erinnert an die biblische Einsicht: Alles, was wir besitzen, ist letztlich Leihgabe, anvertrautes Gut zum Wohl aller.

    Die Botschaft Jesu ist dabei keine simple Umkehrung der Verhältnisse, kein naives „Arm gut – reich schlecht“. Sie ist vielmehr eine Einladung, die Logik von Macht und Besitz zu durchbrechen und neue Formen des Miteinanders zu entwickeln. Eine Einladung, die heute so herausfordernd ist wie damals.

    Wenn wir diese Worte Jesu heute hören, dann nicht als zeitlose Wahrheiten, sondern als Aufruf, in unserer Zeit Wege zu finden, wie Leben in Fülle für alle möglich wird. Dies bedeutet, genau hinzuschauen: Wo entstehen heute neue Formen von Armut? Wo werden Menschen ausgegrenzt?

    So wird aus der verstörenden Botschaft Jesu eine befreiende Perspektive: Wir sind nicht gefangen in den Strukturen von Macht und Ohnmacht. Es gibt einen anderen Weg – den Weg der tätigen Liebe, der Gerechtigkeit, der Teilhabe. Einen Weg, der uns aufruft, mit dem, was uns gegeben ist, Räume der Hoffnung zu öffnen.

    von P. Oliver Heck SVD

    Feldrede – Wikipedia