Darstellung des Herrn (Maria Lichtmess)

Darstellung des Herrn

Kennen Sie diesen besonderen Moment, wenn Sie zum ersten Mal ein neugeborenes Kind in den Armen halten? Diese überwältigende Mischung aus Freude und Ehrfurcht, aus Dankbarkeit und auch einer leisen Sorge um die Zukunft? In solchen Augenblicken spüren wir etwas von der Heiligkeit des Lebens, von seiner Zerbrechlichkeit und seiner Kraft zugleich.

Mit solchen Gefühlen mögen auch Maria und Josef an jenem Tag zum Tempel gegangen sein. Vierzig Tage nach der Geburt – Tage, in denen sie vermutlich kaum zur Ruhe gekommen sind, Tage des Staunens, der schlaflosen Nächte, der ersten zaghaften Routine im Umgang mit diesem Kind, das ihnen anvertraut wurde.

Sie kommen zum Tempel, wie es das Gesetz vorschreibt. Doch was als ritueller Akt beginnt, wird zu einer Begegnung, die uns bis heute berührt und herausfordert.

Darstellung des Herrn
Figürliche Darstellung im Monestir de Pedralbes (Barcelona), sala dels diorames, Foto von Enric auf Wikipedia CC4-by-SA

Hier, im Tempel, kreuzen sich die Wege einer jungen Familie mit dem eines alten Mannes – Simeon. In seiner Person begegnet uns eine Sehnsucht, die wohl viele von uns kennen: Die Sehnsucht nach Sinn, nach Erfüllung, nach einer Gewissheit, die über den Alltag hinausweist.

Simeon hatte sein Leben in wartender Hoffnung verbracht. Wie oft mag er sich gefragt haben, ob seine Sehnsucht Erfüllung findet? Wie oft mag er gezweifelt haben?

Vielleicht kennen Sie solche Momente – wenn die Hoffnung dünn wird wie ein verschlissenes Kleid, wenn der Glaube mehr Frage als Antwort ist.

Doch Simeon hielt fest an seiner Hoffnung. Nicht mit verbissenem Trotz, sondern mit jener Gelassenheit, die aus tiefem Vertrauen wächst. Als er dann das Kind sieht, erkennt er in diesem verletzlichen, schutzbedürftigen Wesen den verheißenen Messias. Welch ein Widerspruch!

Der Retter der Welt kommt nicht im Gewand der Macht, sondern in der Gestalt eines Kindes.

‚Meine Augen haben das Heil gesehen‘, sagt Simeon. Dieser Satz berührt mich tief. Denn wie oft suchen wir das Heil an falscher Stelle? In großen Gesten, in spektakulären Ereignissen, in der perfekten Inszenierung unseres Lebens? Simeon lehrt uns einen anderen Blick: Das Heilige begegnet uns oft im Unscheinbaren, im scheinbar Alltäglichen.

Seine Worte an Maria – ‚Durch deine Seele wird ein Schwert dringen‘ – sind von erschütternder Ehrlichkeit. Sie erinnern uns daran, dass der Weg des Glaubens kein Spaziergang ist. Dass er durch Höhen und Tiefen führt, durch Zweifel und Gewissheit, durch Freude und Schmerz.

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Wie oft haben Sie das schon erlebt? Momente, in denen der Glaube kostbar und zerbrechlich zugleich war?

Was bedeutet diese Geschichte für uns heute? Vielleicht dies: Dass Gott uns gerade dort begegnen will, wo wir es am wenigsten erwarten. Im Gewöhnlichen unseres Alltags, in den kleinen Gesten der Liebe, in den unscheinbaren Momenten der Zuwendung. Und auch in unseren Zweifeln und Fragen, in unserer Sehnsucht und unserem Suchen.

Die rituellen Vorschriften, die Maria und Josef befolgen, waren nichts Außergewöhnliches. Sie gehörten zum religiösen Alltag wie für uns heute vielleicht der sonntägliche Gottesdienst oder das stille Gebet am Morgen. Und genau in dieser Alltäglichkeit geschieht die Begegnung mit dem Heiligen.

Darstellung des Herrn
workshop of Franz Borgias Mayer (1848–1926); Foto: Wojciech Dittwald, CC3 | wikipedia

Simeon lehrt uns das geduldige Warten, das wache Hinschauen, die Bereitschaft, Gott auch dort zu erkennen, wo wir ihn nicht vermuten. Seine Geschichte ermutigt uns, Menschen der Hoffnung zu bleiben – nicht einer naiven Hoffnung, die die Augen vor der Realität verschließt, sondern einer reifen Hoffnung, die um die Gebrochenheit des Lebens weiß und dennoch vertraut.

Wenn Sie heute nach Hause gehen, nehmen Sie vielleicht diese Frage mit: Wo warte ich auf Gott? Wo suche ich ihn? Und bin ich bereit, ihn auch dort zu erkennen, wo er mir anders begegnet als erwartet? Vielleicht in der Stille eines gewöhnlichen Moments, im Lächeln eines Menschen, in der eigenen Sehnsucht nach mehr?

Das Fest der Darstellung des Herrn lädt uns ein, mit den Augen Simeons zu sehen – wach zu werden für die leisen Spuren Gottes in unserem Leben. Es ermutigt uns, wie er Menschen der Hoffnung zu sein, die in geduldiger Erwartung leben und dabei offen bleiben für Gottes überraschende Wege.

P. Oliver Heck SVD


Weitere Bilder von der Darstellung des Herrn geordnet nach Ländern auf wikipedia: Jesus Christ at the Temple by country – Wikimedia Commons