Der Heilige Geist und die Würde des Menschen

Anregung zum Pfingstfest – Demenz und Hl. Geist

zum Evangelium zum Pfingstfest

Liebe Schwestern und Brüder,

„Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ Diese Worte des Apostels Paulus aus dem ersten Korintherbrief (3,16) klingen wie eine ferne Melodie in unserer Zeit. Vielleicht deshalb, weil wir den Geist Gottes so selten als lebendige Kraft erfahren – übertönt vom Lärm der Welt, verdunkelt durch das Leid, das wir in Kirche und Gesellschaft erleben.

Heute möchte ich mit Ihnen über eine Frage nachdenken, die mich zutiefst beschäftigt hat: Wie können wir das Verhalten eines Menschen mit Demenz mit Paulus‘ Worten vereinbaren, dass der Heilige Geist in uns wohnt? Diese Frage stellte sich mir besonders eindringlich angesichts meiner eigenen Mutter – einer gläubigen Christin, deren Persönlichkeit sich binnen kurzer Zeit grundlegend veränderte.

Das beschädigte Fahrzeug – eine Metapher des Lebens

Stellen Sie sich vor, Sie steigen in Ihr Auto und wollen wegfahren. Doch dann stellen Sie fest: Die Fenster sind teilweise völlig verdeckt, andere wie beschlagen – nur durch einzelne Flecken haben Sie noch klare Sicht. Das Gaspedal reagiert unberechenbar: Manchmal rast das Auto von selbst los, dann wieder bewegt es sich keinen Millimeter. Ähnlich das Bremspedal – es bremst willkürlich oder versagt völlig. Die Lenkung gehorcht Ihnen nicht mehr, Sie können nicht mehr bestimmen, wohin die Fahrt geht. Und schließlich die bittere Erkenntnis: Die Tür lässt sich nicht mehr öffnen.

So ähnlich stelle ich mir die Seele eines Menschen, der an Demenz erkrankt ist, vor. Das Fahrzeug der Persönlichkeit ist beschädigt, aber der Fahrer – die Seele – sitzt nach wie vor darin.

Die Grundlage des Wirkens Gottes

Die Kirche geht von einem fundamentalen Grundsatz aus: Damit der Heilige Geist wirken kann, benötigt er als Grundlage die menschliche Natur. Bei einem gesunden Menschen kann der Heilige Geist wirken, sobald dieser es zulässt oder gelernt hat, im Einklang mit dem Geist Gottes zu entscheiden und zu leben.

Doch was geschieht, wenn jemand an Demenz erkrankt? Dann kann der Heilige Geist nicht mehr so wirken, wie wir es kennen und erwarten. Aber – und das ist entscheidend – er wirkt dennoch. Er wirkt durch Trost und Zuwendung. Gerade Menschen mit Demenz sind oft außergewöhnlich empfänglich für menschliche Zuwendung, für eine sanfte Berührung, ein verständnisvolles Lächeln.

Trost und Zuwendung erhalten sie durch Menschen, in denen der Heilige Geist lebendig ist. So wirkt der Geist Gottes durch Angehörige, durch Pflegekräfte, durch alle, die sich liebevoll um diese verletzlichen Menschen kümmern.

Die unsterbliche Seele – mehr als Bewusstsein

Wir Christen glauben an die Unsterblichkeit der menschlichen Seele – auch dann, wenn das Gehirn erkrankt ist und der Mensch in seinen Fähigkeiten stark eingeschränkt lebt. Unsere Seele ist jener göttliche Funke in uns, den wir erahnen können, aber nie vollständig erfassen werden.

Die Seele lebt im Menschen, selbst wenn er nichts von ihr weiß – wenn er schläft, im Koma liegt oder von Demenz betroffen ist. Sie ist das Lebendige in uns, das mehr ist als der Rhythmus des Herzschlags oder die Impulse der Gehirnzellen. Sie übersteigt unser Bewusstsein.

Sie ist das Geistige in uns und bleibt in uns seit dem Beginn unserer Existenz bis in alle Ewigkeit.

Der Atem Gottes in uns

Der Geist Gottes wirkt auf uns ein, indem er unsere Seele „berührt“. Das Johannesevangelium erzählt uns, wie Jesus seine Jünger anhauchte (Joh 20,22), um ihnen zu verdeutlichen, dass sie den Heiligen Geist empfangen – dass der Heilige Geist gleichsam der Atem Gottes in ihnen ist.

In der Taufe hauchte auch uns Jesus an, auch wenn wir keine bewusste Erinnerung daran haben. Der Heilige Geist atmet gewissermaßen in uns und spendet unserer Seele unaufhörlich Kraft und vielfältige Gaben.

Die kostbarsten Gaben des Heiligen Geistes sind Glaube, Hoffnung und Liebe.

Die Einladung zur Öffnung

Lassen wir uns auf den Geist Gottes ein und öffnen wir uns für ihn, dann stärkt er unseren Glauben, lässt uns auf ihn hoffen und gibt uns Kraft, uns selbst und unseren Nächsten zu lieben.

Öffnen wir uns für ihn, der seinen Lebensatem uns immer wieder neu einhauchen möchte! Er beschenkt uns mit seinen geistigen Gaben: mehr Güte und Barmherzigkeit, mehr Einsicht und Geduld, vor allem aber mehr Liebe.

Oft können wir im Leben gar nicht mithalten mit den vielen Gaben, die er uns schenkt. Vertrauen wir auf ihn – gerade auch dann, wenn er unser Leben verändern will! Durch sein Wirken verbinden wir uns leichter und tiefer mit Gott.

Er weitet unser Herz und erhellt unseren Geist. Er schenkt uns Frieden und innere Erfüllung. Er bewirkt, dass wir Dinge tun, zu denen wir ohne ihn nie imstande wären.

In ihm sind wir, leben wir und bewegen uns.

(vgl. Predigt des Paulus in Athen am Areopag, Apg 17,28)


Möge der Heilige Geist uns alle berühren und in uns wirken – in den Gesunden wie in den Kranken, in den Starken wie in den Schwachen. Denn seine Liebe kennt keine Grenzen.

Amen.


von P. Oliver Heck