Mutterunser, Gottes weibliche Züge

Predigt zum 14. Sonntag im Jahreskreis
1. Lesung aus dem Buch Jesaja (Jes 66,10-14c) (14. So. – C)


Liebe Gemeinde,

„Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch.“ (Jes 66,13) Diese Worte aus dem Buch Jesaja haben mich berührt. Nicht, weil sie besonders schwer zu verstehen wären, sondern gerade weil sie so einfach und zugleich so revolutionär sind.

Ich denke an eine Mutter, die vor zwei Jahren ihren erwachsenen Sohn bei einem Unfall verloren hat. Als sie neulich von der Zeit danach erzählte, sagte sie etwas: „Wissen sie, in den ersten Wochen konnte ich nicht mehr beten. Das Vaterunser ging nicht mehr. Aber dann fing ich an, einfach zu sagen: ‚Mutter unser im Himmel, versteh mich.‘ Und plötzlich war da jemand, der wirklich verstand.“

Diese Mutter hatte intuitiv etwas erfasst, was die Bibel uns an vielen Stellen sagt, was wir aber oft überhören: Gott offenbart sich uns nicht nur als Vater, sondern auch als Mutter. Nicht nur als der Allmächtige, sondern auch als die Tröstende. Nicht nur als der, der richtet, sondern auch als die, die gebiert und nährt.

Der Gott, der Geburtswehen kennt

Wenn der Prophet Jesaja Gott sprechen lässt, dann hören wir Worte, die uns aufhorchen lassen müssen: „Wie eine Gebärende will ich nun schreien, ich stöhne und ringe um Luft.“ (Jes 42,14 ) Hier spricht Gott von sich selbst mit den Worten einer Frau in den Wehen. Das ist kein poetischer Zufall. Das ist Theologie in ihrer tiefsten Form.

Denken Sie einen Moment darüber nach: Gott versteht den Schmerz des Gebärens, weil er selbst ständig dabei ist, Neues hervorzubringen. Jede Verwandlung, jede Heilung, jede Auferstehung – sie alle durchlaufen diesen Prozess des schmerzhaften und zugleich wunderbaren Zur-Welt-Kommens.

Eine junge Mutter, die erzählte, wie sie nach der Geburt ihres Kindes plötzlich verstanden hatte, was Liebe wirklich bedeutet: „Ich hätte alles für dieses Kind getan, noch bevor ich es gesehen hatte. Ich hätte mein Leben gegeben.“ In diesem Moment, sagte sie, habe sie zum ersten Mal wirklich begriffen, wie Gott uns liebt.

Die Zärtlichkeit des Allmächtigen

Als Jesus über Jerusalem weint und sagt: „Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel“ (Mt 23,37; Lk 13,34), da zeigt er uns etwas Erstaunliches. Der Sohn Gottes, durch den die Welt geschaffen wurde, vergleicht sich mit einem der verletzlichsten Tiere, das wir kennen. Eine Henne hat keine Krallen wie ein Adler, keine Reißzähne wie ein Löwe. Sie hat nur ihre Flügel und ihre Bereitschaft, sich selbst zwischen ihre Küken und die Gefahr zu stellen.

Das ist das Bild, das Jesus für die göttliche Liebe wählt. Nicht die unbezwingbare Festung, sondern die zärtliche Beschützerin, die ihr Leben riskiert für das, was sie liebt.

Vielleicht denken Sie jetzt: „Aber brauchen wir nicht auch einen starken Gott? Einen, der eingreift, der die Ungerechtigkeit stoppt, der die Welt in Ordnung bringt?“ Ja, den brauchen wir. Aber schauen Sie genauer hin: Wo geschieht das? Wo greift Gott ein?

Wo Gott wirkt

Ich denke an die Bilder, die uns täglich erreichen. Krieg, Ungerechtigkeit, Leid. Und ich denke an die Menschen, die inmitten dieses Chaos aufstehen und helfen. Die Ärztin, die nach zwanzig Stunden Dienst immer noch da ist. Die Lehrerin, die nicht aufgibt bei dem schwierigen Kind. Die Nachbarin, die für die alte Dame einkauft. Der Vater, der nachts aufsteht, wenn das Baby weint.

Sind das nicht die Hände Gottes? Ist das nicht die Art, wie die göttliche Fürsorge in unsere Welt kommt? Nicht als spektakuläre Intervention, sondern als geduldige, beharrliche, zärtliche Liebe, die sich täglich neu verschenkt?

Die Weisheit, die Leben schenkt

In den Weisheitsbüchern der Bibel begegnet uns eine faszinierende Gestalt: die Weisheit, Sophia, die als Frau beschrieben wird. Sie ist bei Gott von Anfang an, sie spielt vor ihm wie ein geliebtes Kind, sie ist seine Freude. Und dann heißt es: „Ich war bei ihm als Werkmeisterin.“ (vgl. Spr 8,30)

Stellen Sie sich das vor: Die Weisheit Gottes wird uns als eine Frau gezeigt, die mitarbeitet an der Schöpfung. Nicht als passive Zuschauerin, sondern als aktive Gestalterin. Die frühen Christen sahen in dieser Sophia einen Hinweis auf Christus selbst. Das bedeutet: In Jesus begegnet uns nicht nur der Sohn, sondern auch die weibliche Weisheit Gottes.

Das Geheimnis des Kreuzes

Am Kreuz geschieht etwas, was die Kirchenväter mit einem erstaunlichen Bild beschrieben haben. Als der Soldat die Seite Jesu öffnet und Blut und Wasser herausfließen, sahen sie darin ein Bild der Geburt. Jesus gebiert am Kreuz die Kirche, das neue Volk Gottes. Er stirbt nicht nur für uns, er bringt uns zur Welt.

Das ist mehr als eine schöne Metapher. Das zeigt uns etwas über das Wesen der göttlichen Liebe: Sie ist schöpferisch, sie bringt Leben hervor, auch und gerade durch Leiden hindurch. Wie eine Mutter, die durch die Schmerzen der Geburt hindurchgeht, um neues Leben zu schenken.

Was das für uns bedeutet

Zu Gott auch als Mutter zu beten ist keine Verwässerung des Glaubens, sondern eine Vertiefung. Wenn wir Gott nur als den allmächtigen Herrscher sehen, verpassen wir die Hälfte der Botschaft. Wenn wir ihn nur als den strengen Richter kennen, übersehen wir seine zärtliche Barmherzigkeit. Wenn wir nur seine Macht preisen, vergessen wir seine Verletzlichkeit.

Die Bibel lädt uns ein zu einem volleren Gottesbild. Einem Gott, der stark genug ist, um verletzlich zu sein. Einem Gott, der mächtig genug ist, um sich klein zu machen. Einem Gott, der seine Größe gerade darin zeigt, dass er sich uns in der ganzen Bandbreite menschlicher Erfahrung offenbart.

Der Gott, der uns versteht

Wenn Sie heute nach Hause gehen und jemand Sie fragt, was war das für eine Predigt, dann können Sie sagen: Es ging um einen Gott, der Geburtswehen kennt. Einen Gott, der versteht, was es heißt, ein Kind zu verlieren. Einen Gott, der weiß, wie es sich anfühlt, abgelehnt zu werden. Einen Gott, der unsere Tränen mit seinen eigenen Tränen mischt.

Das macht Gott nicht kleiner. Das macht ihn menschlicher. Und paradoxerweise macht ihn das auch göttlicher. Denn nur ein Gott, der groß genug ist, um sich klein zu machen, nur ein Gott, der stark genug ist, um schwach zu sein, nur ein solcher Gott kann uns wirklich nahe sein in allem, was uns bewegt.

„Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch.“ Das ist kein Bild, das Gott verkleinert. Das ist ein Bild, das unser Herz weitet für die unendliche Zärtlichkeit dessen, der uns ins Leben gerufen hat und der uns durch alles hindurch begleitet.


P. Oliver Heck

Hinweis zur KI-Transparenz: Der Text wurde von mir eigenständig erstellt. Für die Korrektur, stilistische Anpassung und einige Ergänzungen wurde folgende KI verwendet: Claude Sonnet 4.0 von Anthropic. Danach wurde der Text noch einmal von mir korrigiert.