zum 5. Sonntag im Jahreskreis C, Lk 5, 1-11
Am See Genezareth ereignet sich eine der bewegendsten Begegnungen des Evangeliums – die Berufung der ersten Jünger. Diese Geschichte berührt uns bis heute, weil sie von einer tiefen Wahrheit über unser Menschsein und unsere Beziehung zu Gott erzählt.
Stellen Sie sich diesen frühen Morgen am See vor: Fischer, die die ganze Nacht gearbeitet haben, ohne Erfolg. Ihre Netze sind leer, ihre Arme müde, ihre Hoffnungen erschöpft. In dieser Situation der Ernüchterung begegnet ihnen Jesus. Er steigt in ihr Boot – nicht als distanzierter Lehrer, sondern als einer, der sich in ihre Lebenswirklichkeit hineinbegibt.
Ein erfahrener Sportangler erzählte mir einmal: „Nur einen Meter daneben, und die Fische beißen nicht an.“ Diese praktische Weisheit birgt eine tiefe geistliche Wahrheit: Es kommt darauf an, die Menschen dort anzusprechen, wo sie wirklich sind – in ihren konkreten Lebenssituationen, mit ihren Hoffnungen und Ängsten.
Was macht Jesus so anziehend, damals wie heute? Es ist seine absolute Authentizität. Sein „Ja“ ist ein Ja, sein „Nein“ ein Nein. In einer Welt der verschiebbaren roten Linien und der oberflächlichen Versprechungen steht er mit seinem ganzen Leben für das ein, was er verkündet. Er heilt nicht nur körperliche Gebrechen, sondern gibt den Menschen ihre Würde zurück. Er spricht von Freiheit – nicht als abstraktes Konzept, sondern als gelebte Befreiung von den Zwängen des „Was sagen die Leute?“ und „Wie viel verdiene ich?“
Diese Authentizität Jesu fordert uns als Kirche heute heraus – nicht als schwere Last, sondern als befreiendes Vorbild. Wenn Jesus Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit begegnet, dann zeigt er uns den Weg: Es geht nicht darum, perfekt zu sein, sondern wahrhaftig. Nicht darum, alle Antworten zu haben, sondern mit den Menschen gemeinsam nach ihnen zu suchen.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Menschen nach Sinn und Gemeinschaft suchen. Sie fragen: „Was bringt mir das?“ Diese Frage dürfen wir nicht als oberflächlich abtun. Sie spiegelt eine tiefe Sehnsucht nach erfülltem Leben wider.
Schauen wir auf die Freiwillige Feuerwehr: Junge Menschen übernehmen dort Verantwortung und Pflichten, weil sie echte Gemeinschaft erleben. Sie finden einen Ort, wo sie gebraucht werden und wo ihre Fähigkeiten wertgeschätzt werden. Das ist kein Widerspruch zu ihrem Dienst, sondern seine Grundlage.

Als Kirche sind wir herausgefordert, beides zu sein: treu in unserer Botschaft und lebendig in unserer Gestalt. In Afrika erleben Menschen den Gottesdienst ganzheitlich: Wenn der Chor zu singen beginnt, wenn die Trommeln erklingen, wenn sich Jung und Alt im Tanz vereinen – dann wird spürbar, dass der Glaube den ganzen Menschen ergreift. Es sind keine perfekt choreografierten Shows, sondern Momente echter Gemeinschaft, in denen Freude und Leid, Jubel und Klage Platz haben. Die Menschen kommen nicht als passive Zuschauer, sondern als aktive Teilnehmer, die ihre Gaben und ihre Geschichten mitbringen.
Jesus ruft uns auf, „Menschenfischer“ zu werden. Das bedeutet nicht, Menschen mit billigen Versprechungen zu ködern, sondern wie er selbst authentisch zu leben und zu lieben. Es bedeutet, die befreiende Botschaft von Gottes Barmherzigkeit so zu verkünden, dass sie Menschen in ihrer konkreten Lebenssituation erreicht.
Dort, wo Menschen Unterdrückung und Hass erleben, wo sie sich nach einer besseren Welt sehnen, da hat diese Botschaft bis heute eine besondere Kraft. Sie macht Menschen innerlich frei, nicht durch Zwang, sondern durch Liebe. Sie schafft Gemeinschaft, nicht durch äußere Regeln, sondern durch gelebte Barmherzigkeit.
Liebe Gemeinde, Sie alle bringen Ihre eigenen Erfahrungen mit – Momente der Fülle und der Leere, der Nähe und der Ferne, des Gelingens und des Scheiterns. All das hat Platz in der Nachfolge Jesu. Er lädt uns ein, wie damals am See, ihm zu vertrauen und unsere Netze neu auszuwerfen – vielleicht gerade dort, wo wir es nicht erwarten.
Lassen Sie uns als Gemeinde diesen Weg gemeinsam gehen: verwurzelt in der Tiefe unseres Glaubens und offen für die Menschen unserer Zeit. Dann werden auch wir erfahren, wie aus Müdigkeit neue Kraft erwächst, wie aus der Begegnung mit Jesus Leben in seiner ganzen Fülle entsteht.
von P. Oliver Heck
Querverweis zum wunderbaren Fischfang nach der Auferstehung Jesu:
Der Fischfang spielt wieder eine große Rolle nach der Auferstehung Jesu. Erneut ermutigt er seine Jünger, die ihrem Tagesgeschäft nachgingen. Diesmal steht er aber am Ufer.