Anregung zur Verklärung Jesu nach Lukas
Es gibt Momente im Leben, in denen sich für einen kurzen Augenblick der Schleier hebt und etwas Tieferes durchscheint. Der alte Jazzmusiker, der abends im dämmrigen Licht seines Wohnzimmers plötzlich eine Melodie findet, die mehr zu sein scheint als bloße Noten. Die Mutter, die im erschöpften Gesicht ihres schlafenden Kindes eine Schönheit erkennt, die über das Sichtbare hinausgeht.
Der Evangeliumstext von der Verklärung Jesu erzählt von einem solchen Moment – einem Ereignis, das die Jünger Petrus, Johannes und Jakobus bis ins Mark erschütterte.
Das Aufleuchten der Wahrheit
Jesus nimmt seine engsten Vertrauten mit auf einen Berg zum Gebet. Während er betet, geschieht das Unfassbare: Sein Angesicht verändert sich, seine Kleider leuchten wie Blitze. Mose und Elia erscheinen und sprechen mit ihm über seinen bevorstehenden „Exodus“ in Jerusalem – sein Leiden und Sterben.
Was hier geschieht, ist keine Verwandlung Jesu in etwas Fremdes. Es ist vielmehr die Enthüllung dessen, was er in Wahrheit ist. Für einen kurzen Moment wird das Verborgene sichtbar, das Göttliche durchscheint das Menschliche.
Ist es nicht auch in unserem Leben so? Der Theologe Paul Tillich spricht von „Momenten, in denen die Ewigkeit die Zeit berührt.“ Augenblicke, in denen wir ahnen, dass unser Leben mehr ist als die Summe unserer Tage, mehr als das, was nach außen sichtbar wird.
Die Spannung aushalten
Bemerkenswert ist: Mitten in diesem Moment strahlender Herrlichkeit steht das Gespräch über den Tod. Diese Spannung zwischen Herrlichkeit und Niedrigkeit durchzieht Jesu ganzes Leben – vom „Dies ist mein auserwählter Sohn“ bis zum „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Kennen wir nicht auch diese Spannung? Der Mann, der nach der Krebsdiagnose plötzlich mit einer nie gekannten Klarheit das Leben wahrnimmt. Die Frau, die nach dem Verlust eines geliebten Menschen in ihrer tiefsten Trauer zugleich die Kostbarkeit jeder Begegnung neu versteht.
Unser Glaube verspricht kein Leben ohne Leid, sondern die Gewissheit, dass im Leid, in der Niedrigkeit, die Herrlichkeit bereits verborgen gegenwärtig ist. Wie Jesus durch Leiden und Tod zur Auferstehung ging, so dürfen auch wir hoffen, dass unsere Dunkelheiten nicht das letzte Wort haben.
Zwischen Festhalten und Loslassen
Wie reagieren die Jünger? Sie sind wie benommen, zwischen Wachen und Schlafen. Petrus, überwältigt, will Hütten bauen – das Unfassbare festhalten, das Überwältigende in den Griff bekommen.
Wie oft geht es uns genauso! Die junge Frau, die nach einer tiefen spirituellen Erfahrung versucht, dieses Gefühl immer wieder herzustellen und dabei vergisst, dass echte Gottesbegegnung ein Geschenk ist, nicht ein Produkt unserer Bemühungen. Der Trauernde, der die Wohnung des Verstorbenen als Museum bewahrt und dabei verpasst, den Verstorbenen in seinem Herzen weiterziehen zu lassen.
Aber das Göttliche lässt sich nicht festhalten. Die Wolke, Symbol der Gegenwart Gottes, hüllt sie ein, die Stimme spricht: „Dies ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.“ Und dann steigen sie vom Berg hinab.
Vom Gipfelerlebnis in den Alltag
Die Verklärung ist kein Dauerzustand. Jesus führt seine Jünger wieder ins Tal, zurück zu den wartenden Menschen mit ihren Nöten. So ist es auch in unserem Leben: Die Momente besonderer Gotteserfahrung wollen uns stärken für den Dienst an anderen, für den Weg, der vor uns liegt.
Die Jünger verstehen erst nach der Auferstehung, was sie erlebt haben. Auch wir erkennen oft erst im Rückblick, welche Bedeutung bestimmte Erfahrungen für uns hatten. Der vermeintliche Umweg, der sich im Nachhinein als der einzig richtige Weg erweist. Die schmerzhafte Trennung, die uns zur Selbsterkenntnis führte.
Wandlung und Teilhabe
Letztlich geht es bei der Verklärung nicht nur um Jesus, sondern auch um uns. Die Jünger begreifen die wahre Identität des Sohnes. Die Verklärung geschieht besonders für sie und in ihnen. Sie werden selbst verklärt, indem sie Zeugen der Herrlichkeit werden.
Liebe Gemeinde, die Geschichte der Verklärung lädt uns ein, wach zu sein für die Momente, in denen Gottes Wirklichkeit in unserem Leben aufleuchtet. Sie lehrt uns, die Spannung zwischen Offenbarung und Verborgenheit auszuhalten und darauf zu vertrauen, dass unser Leben, mit all seinen Höhen und Tiefen, in Gottes Händen liegt.
„Dies ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.“ Diese Stimme gilt es zu vernehmen, diesem Sohn zu folgen – im Alltag, in der Niedrigkeit und in der Hoffnung auf die kommende Herrlichkeit.
von P. Oliver Heck