Schlagwort: Leben in Fülle

  • Auferstehung: Die Fülle beginnt schon hier

    Evangelium Lesejahr C – Lk 24, 1-12

    Die Nacht der Auferstehung – Osternacht (Lange Form)

    Stellen Sie sich den glücklichsten Moment Ihres Lebens vor. Verweilen Sie dort einen Augenblick. Vielleicht war es die erste Berührung Ihres neugeborenen Kindes, als Sie diese winzigen Finger spürten, die nach Ihnen griffen – ein Lebensanfang von solcher Unmittelbarkeit, dass die Zeit stillzustehen schien. Oder der Moment, als Sie in die Augen des Menschen blickten, dem Sie gerade Treue versprochen hatten – dieser Blick, in dem eine ganze gemeinsame Zukunft aufschimmerte. Vielleicht war es die stille Genugtuung nach jahrelanger Arbeit, als ein berufliches Projekt endlich Früchte trug. Oder das erste Mal, als Sie die Tür zu Ihrem eigenen Zuhause aufschlossen, diesem Raum, der nun Ihre Geschichte beherbergen würde.

    Diese Momente tragen eine eigentümliche Qualität in sich – sie sind erfüllt von einer Gegenwärtigkeit, einer Dichte des Erlebens, als ob die Zeit sich verdichtet hätte zu einem einzigen, leuchtenden Punkt. In ihnen erleben wir einen Vorgeschmack dessen, was Fülle bedeuten kann.

    Und nun – versuchen Sie sich vorzustellen, dieses Glück zu multiplizieren. Nicht nur verdoppelt oder verzehnfacht, sondern vertausendfacht und nochmals vertausendfacht. Eine solche Vorstellung übersteigt unsere Fassungskraft, nicht wahr? Und doch ist selbst diese überwältigende Ahnung nur ein schwacher Abglanz dessen, was uns im ewigen Leben erwartet.

    Vertröstung?

    An dieser Stelle könnten kritische Stimmen einwenden: Ist das nicht genau die Art von billiger Vertröstung, vor der schon Ludwig Feuerbach warnte? Eine Projektion unserer Sehnsüchte an einen imaginären Himmel, um die Härten des Diesseits erträglicher zu machen? Eine Beruhigungspille für die Leidenden, damit sie nicht auf Veränderung im Hier und Jetzt drängen?

    Diese Kritik verdient unsere Aufmerksamkeit. Denn tatsächlich kann der Glaube an ein Jenseits zur Weltflucht verleiten, zur Resignation angesichts des gegenwärtigen Leids. Und doch – ist dies wirklich die Art von Glauben, zu der Christus uns aufruft?

    Im Johannesevangelium spricht Jesus: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ Beachten Sie genau: Er spricht nicht von einem erst später zu erfüllenden Versprechen, sondern von einer Gegenwart, die schon jetzt beginnt, sich unter uns zu entfalten. Diese Fülle ist keine vertröstende Utopie – sie ist eine verwandelnde Kraft, die bereits hier und heute unser Leben durchdringen will.

    Hoffnung motiviert

    Es ist gerade die Hoffnung auf das ewige Leben, die uns dazu befähigt, das gegenwärtige Leben in seiner ganzen Tiefe zu umarmen – mit seinen Freuden und Schmerzen, mit seinen Herausforderungen und Nöten. Es ist, als würde diese Hoffnung uns einen anderen Blickwinkel eröffnen, von dem aus wir die Wirklichkeit klarer erkennen können.

    Denken Sie an die Heiligen durch die Jahrhunderte – an Franz von Assisi, der seinen Reichtum aufgab, um mit den Ärmsten zu leben; an Mutter Teresa, die ihr Leben den Sterbenden in den Slums von Kalkutta widmete; an Dietrich Bonhoeffer, der aus seinem Glauben heraus dem Naziregime widerstand und dafür sein Leben ließ. Waren diese Menschen weltabgewandt? Keineswegs! Es war gerade ihr tiefer Glaube an die letzte Wirklichkeit Gottes, der ihnen die Kraft gab, sich radikal auf die Nöte ihrer Mitmenschen einzulassen. Es war ihre Gewissheit eines Lebens jenseits des Todes, die sie befähigte, ihr eigenes Leben hinzugeben, wo es nötig war.

    Mehr Glaube an Auferstehung

    Vielleicht ist unser Problem nicht, dass wir zu sehr an ein Leben nach dem Tod glauben – sondern dass wir zu wenig daran glauben. Dass unsere Vorstellung vom ewigen Leben zu blass, zu abstrakt, zu ferngeblieben ist. Dass wir nicht begriffen haben, was es bedeutet, schon jetzt aus der Kraft der Auferstehung zu leben.

    Die Verwandlung beginnt schon hier und jetzt. Es ist wie eine neue Geburt und eine neue Wirklichkeit, die in unserem Leben aufbricht, wenn wir uns der Liebe Gottes öffnen, die in Christus sichtbar geworden ist. Es ist ein Prozess des Sterbens und Auferstehens, der sich in unserem alltäglichen Leben vollzieht – in jeder Entscheidung für die Liebe, für die Wahrheit, für die Gerechtigkeit.

    Was uns einmal erwartet, ist eine Welt voller Liebe, Freude und Einheit – eine friedliche Heimat, in der uns tiefes Wohlwollen entgegengebracht wird. Eine Welt, in der alle gebrochenen Beziehungen geheilt sind, alle Tränen getrocknet werden, aller Schmerz verwandelt wird in tiefere Freude.

    Es beginnt schon hier und jetzt

    Und das Wunderbare ist: Diese Welt beginnt nicht erst nach unserem Tod. Sie bricht schon jetzt unter uns an – überall dort, wo Menschen aus der Kraft dieser Hoffnung heraus leben und handeln. Wo sie einander vergeben, statt auf ihr Recht zu pochen. Wo sie teilen, statt zu horten. Wo sie dienen, statt sich bedienen zu lassen. Wo sie die Wahrheit sagen, auch wenn es kostspielig ist. Wo sie für Gerechtigkeit eintreten, auch wenn es sie verwundbar macht.

    In dieser Osternacht feiern wir nicht nur ein historisches Ereignis. Wir feiern, dass das Leben stärker ist als der Tod. Dass die Liebe den Hass überwindet. Dass das Licht in der Finsternis scheint, und die Finsternis hat es nicht ergriffen.

    Möge die Hoffnung, die von diesem leeren Grab ausgeht, uns ermutigen, unser Leben in seiner ganzen Tiefe zu leben – nicht als flüchtige Vorbereitung auf ein fernes Jenseits, sondern als den Ort, an dem Gottes Ewigkeit schon jetzt zu leuchten beginnt. Möge sie uns befähigen, das Leid in dieser Welt nicht zu übersehen oder zu verharmlosen, sondern ihm mit der verwandelnden Kraft der Liebe zu begegnen. Und möge sie uns die Gewissheit schenken, dass nichts verloren geht, was in Liebe getan wird – dass jede Träne, jedes Opfer, jede Hingabe aufgehoben ist in Gottes ewiger Gegenwart.

    Denn das ist die Verheißung dieser Nacht: Das Leben ist stärker als der Tod. Die Liebe bleibt. Der Stein ist weggerollt.

    P. Oliver Heck

    Die Ewigkeit im Jetzt [kurze Form]

    Stellen Sie sich den glücklichsten Moment Ihres Lebens vor. Verweilen Sie dort einen Augenblick. Vielleicht war es die erste Berührung Ihres neugeborenen Kindes oder der Blick in die Augen des Menschen, dem Sie gerade Treue versprochen hatten. In solchen Momenten erleben wir eine Gegenwärtigkeit, eine Dichte des Erlebens, als ob die Zeit sich verdichtet hätte zu einem einzigen, leuchtenden Punkt – ein Vorgeschmack dessen, was Fülle bedeuten kann.

    Und doch ist selbst diese überwältigende Ahnung nur ein schwacher Abglanz dessen, was uns im ewigen Leben erwartet.

    Ist das nicht bloße Vertröstung? Diese Kritik verdient unsere Aufmerksamkeit. Tatsächlich kann der Glaube an ein Jenseits zur Weltflucht verleiten. Doch ist dies wirklich die Art von Glauben, zu der Christus uns aufruft? Im Johannesevangelium spricht Jesus: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ Er spricht nicht von einem erst später zu erfüllenden Versprechen, sondern von einer Gegenwart, die schon jetzt beginnt, sich unter uns zu entfalten.

    Es ist gerade die Hoffnung auf das ewige Leben, die uns befähigt, das gegenwärtige Leben in seiner ganzen Tiefe zu umarmen – mit seinen Freuden und Schmerzen, seinen Herausforderungen und Nöten. Diese Hoffnung eröffnet uns einen anderen Blickwinkel, von dem aus wir die Wirklichkeit klarer erkennen können.

    Denken Sie an die Heiligen durch die Jahrhunderte – an Franz von Assisi, an Mutter Teresa, an Dietrich Bonhoeffer. Waren diese Menschen weltabgewandt? Keineswegs! Es war gerade ihr tiefer Glaube an die letzte Wirklichkeit Gottes, der ihnen die Kraft gab, sich radikal auf die Nöte ihrer Mitmenschen einzulassen.

    Vielleicht ist unser Problem nicht, dass wir zu sehr an ein Leben nach dem Tod glauben – sondern dass wir zu wenig daran glauben. Dass unsere Vorstellung vom ewigen Leben zu blass, zu abstrakt geblieben ist. Dass wir nicht begriffen haben, was es bedeutet, schon jetzt aus der Kraft der Auferstehung zu leben.

    Die Verwandlung beginnt hier und jetzt. Es ist wie eine neue Geburt, eine neue Wirklichkeit, die in unserem Leben aufbricht, wenn wir uns der Liebe Gottes öffnen. Es ist ein Prozess des Sterbens und Auferstehens, der sich in unserem alltäglichen Leben vollzieht – in jeder Entscheidung für die Liebe, für die Wahrheit, für die Gerechtigkeit.

    Was uns einmal erwartet, ist eine Welt voller Liebe und Freude – eine friedliche Heimat, in der alle gebrochenen Beziehungen geheilt und alle Tränen getrocknet werden.

    Und das Wunderbare ist: Diese Welt beginnt nicht erst nach unserem Tod. Sie bricht schon jetzt unter uns an – überall dort, wo Menschen aus der Kraft dieser Hoffnung heraus leben und handeln. Wo sie einander vergeben, statt auf ihr Recht zu pochen. Wo sie teilen, statt zu horten. Wo sie für Gerechtigkeit eintreten, auch wenn es sie verwundbar macht.

    In dieser Osternacht feiern wir, dass das Leben stärker ist als der Tod. Dass die Liebe den Hass überwindet. Dass das Licht in der Finsternis scheint.

    Möge die Hoffnung, die von diesem leeren Grab ausgeht, uns ermutigen, unser Leben in seiner ganzen Tiefe zu leben – nicht als flüchtige Vorbereitung auf ein fernes Jenseits, sondern als den Ort, an dem Gottes Ewigkeit schon jetzt zu leuchten beginnt. Möge sie uns die Gewissheit schenken, dass nichts verloren geht, was in Liebe getan wird.

    Denn das ist die Verheißung dieser Nacht: Das Leben ist stärker als der Tod. Die Liebe bleibt. Der Stein ist weggerollt.

    P. Oliver Heck

  • Der Ruf nach Leben in Fülle: Zu Lk 6,17.20-26

    Der Ruf nach Leben in Fülle: Zu Lk 6,17.20-26

    Ansprache zu Lk 6, 17.20–26: Feldpredigt Jesu mit Seligpreisungen und Weherufen. (6. So. i.Jk. C)

    Als Jesus seine Feldpredigt hielt, drängten sich Menschen um ihn – nicht in einer geordneten Kirchenbank, sondern im Staub Palästinas. Tagelöhner, die nicht wussten, ob sie morgen Arbeit finden würden. Fischer, deren Netze leer geblieben waren. Kranke, die von der Gesellschaft ausgeschlossen wurden. Menschen, die unter der dreifachen Last der römischen Besatzung, der religiösen Vorschriften und der wirtschaftlichen Not ächzten.

    Feldpredigt, Arm und Reich, Isreal

    In diese Realität hinein sprach Jesus seine Botschaft vom Reich Gottes. Es war keine abstrakte Predigt über Armut und Reichtum, sondern eine Botschaft, die die Grundfesten der damaligen Gesellschaftsordnung erschütterte. In der Antike galt Armut als Zeichen göttlicher Ungnade, Reichtum als Beweis göttlichen Segens. Jesus stellte diese Weltdeutung radikal auf den Kopf.

    Diese Umkehrung der Perspektive durchzieht wie ein roter Faden die biblische Tradition. Im Buch Exodus hören wir Gottes leidenschaftlichen Ruf: „Ich habe das Elend meines Volkes gesehen […] Ich kenne ihr Leid“ (Ex 3,7). Es ist keine distanzierte Beobachtung, sondern die Stimme eines Gottes, der sich vom Leid seines Volkes zutiefst berühren lässt. Der Psalmist greift diese Erfahrung auf, wenn er betet: „Er rettet den Gebeugten, der um Hilfe schreit, den Armen und den, der keinen Helfer hat“ (Ps 72,12).

    Gottes besondere Zuwendung zu den Armen entspringt nicht einem romantischen Ideal von Armut. Im Gegenteil: Weil Gott selbst die Fülle des Lebens verkörpert, steht jeder Mangel, jede Entbehrung, jede Form von Ausgrenzung im Widerspruch zu seinem Willen. Seine Parteinahme für die Armen ist Ausdruck seiner Vision vom Leben in Fülle für alle Menschen.

    Die Warnung Jesu vor den Gefahren des Reichtums zeigt dabei eine erstaunliche Differenziertheit. Er begegnete dem römischen Hauptmann von Kafarnaum, einem Mann von beträchtlichem Einfluss, mit Respekt (Lk 7,4ff). Er nahm die Unterstützung wohlhabender Frauen wie Johanna und Susanna an (Lk 8,3). Dies verdeutlicht: Nicht der Besitz an sich ist das Problem, sondern die Art, wie Menschen sich davon vereinnahmen lassen, wie er ihren Blick auf die Welt und ihre Mitmenschen prägt.

    Die Geschichte lehrt uns: Wo Menschen Macht und Reichtum anhäufen, verlieren sie oft den Bezug zur Realität. Im römischen Reich lebten wenige in unvorstellbarem Luxus, während die Masse der Bevölkerung kaum das Nötigste hatte. Es ist ein Muster, das sich durch die Jahrhunderte zieht, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen.

    Das Evangelium lädt uns heute ein, unsere eigene Position in diesem Gefüge ehrlich zu reflektieren. Der Satz unseres Grundgesetzes „Eigentum verpflichtet“ (Art. 14,2) erinnert an die biblische Einsicht: Alles, was wir besitzen, ist letztlich Leihgabe, anvertrautes Gut zum Wohl aller.

    Die Botschaft Jesu ist dabei keine simple Umkehrung der Verhältnisse, kein naives „Arm gut – reich schlecht“. Sie ist vielmehr eine Einladung, die Logik von Macht und Besitz zu durchbrechen und neue Formen des Miteinanders zu entwickeln. Eine Einladung, die heute so herausfordernd ist wie damals.

    Wenn wir diese Worte Jesu heute hören, dann nicht als zeitlose Wahrheiten, sondern als Aufruf, in unserer Zeit Wege zu finden, wie Leben in Fülle für alle möglich wird. Dies bedeutet, genau hinzuschauen: Wo entstehen heute neue Formen von Armut? Wo werden Menschen ausgegrenzt?

    So wird aus der verstörenden Botschaft Jesu eine befreiende Perspektive: Wir sind nicht gefangen in den Strukturen von Macht und Ohnmacht. Es gibt einen anderen Weg – den Weg der tätigen Liebe, der Gerechtigkeit, der Teilhabe. Einen Weg, der uns aufruft, mit dem, was uns gegeben ist, Räume der Hoffnung zu öffnen.

    von P. Oliver Heck SVD

    Feldrede – Wikipedia