Schlagwort: Selbstvergötterung

  • Die Versuchung Jesu – Ein Spiegel unserer menschlichen Erfahrung

    zu Lk 4,1-13

    Das Evangelium vom ersten Fastensonntag führt uns in die Wüste, wo Jesus versucht wird. Diese Erzählung mag uns zunächst erstaunen: Wie kann der Sohn Gottes überhaupt versucht werden? Doch gerade in dieser Spannung offenbart sich das tiefe Geheimnis der Menschwerdung Christi. Er ist nicht nur in unsere Welt gekommen, sondern hat vollständig an unserer menschlichen Existenz teilgenommen – mit allen Herausforderungen, die das bedeutet.

    Seit Anbeginn ringt der Mensch mit Versuchungen. Da Jesus wahrhaft Mensch wurde, stellte er sich auch dieser zutiefst menschlichen Erfahrung. Verstehen wir: In Versuchung zu geraten ist keine Sünde an sich. Erst das Nachgeben entfernt uns von Gott. Jesus wurde „in allem uns gleich, außer der Sünde“ – und gerade in seinem Widerstehen zeigt er uns einen Weg durch unsere eigenen Kämpfe.

    Das Evangelium enthüllt drei grundlegende Versuchungsmuster, die uns bis heute begleiten:

    Die Versuchung der Macht – wenn Satan Jesus die Herrschaft über alle Reiche anbietet. Die Versuchung der Sinnlichkeit – wenn der Hungernde verführt wird, Steine zu Brot zu machen. Die Versuchung der Selbstvergöttlichung – wenn der Mensch sich anmaßt, Gottes Platz einzunehmen.

    Betrachten wir zunächst die Versuchung der Sinnlichkeit. Sie erscheint oft am offensichtlichsten: Wenn die Genüsse des Lebens unseren Blick für das Wesentliche trüben. Denken Sie an den Geschäftsmann, der für den nächsten beruflichen Erfolg seine Familie vernachlässigt. Oder an die junge Frau, die in der endlosen Spirale sozialer Medien gefangen ist, ständig nach dem nächsten Like hungert und dabei die echten Begegnungen verpasst. Es müssen nicht immer die drastischen Beispiele wie Alkohol- oder Drogenabhängigkeit sein – oft sind es die subtilen, alltäglichen Ablenkungen, die uns von einem erfüllten Leben abhalten.

    Wenn wir ehrlich in unser eigenes Leben blicken – wo verlieren wir uns in momentanen Befriedigungen, die letztlich leer bleiben? Vielleicht ist es der reflexartige Griff zum Smartphone, wenn eine unangenehme Stille entsteht. Oder die Flucht in Konsum, wenn wir uns mit schwierigen Gefühlen konfrontiert sehen. Diese kleinen Ausweichmanöver können zu Mustern werden, die uns langsam von uns selbst und von Gott entfernen.

    Die Versuchung der Macht begegnet uns in vielfältigen Formen. Wir sehen sie in den Schlagzeilen über Manager, die sich auf Kosten ihrer Mitarbeiter bereichern. Aber seien wir wachsam – sie lauert auch in unserer unmittelbaren Nähe. In der Familie, wenn Eltern ihre Position gegenüber ihren Kindern missbrauchen, um ihren Willen durchzusetzen, statt zuzuhören. In Freundschaften, wenn wir vertrauliche Informationen weitergeben, um uns wichtig zu machen. In der Gemeinde, wenn wir andere durch unser vermeintlich überlegenes Wissen kleinhalten.

    Macht zeigt sich oft subtil in der Art, wie wir kommunizieren. Wenn ich sage: „Ich weiß etwas, was du nicht weißt“ – schaffe ich ein Gefälle. Wenn ich Gerüchte säe oder Informationen zurückhalte, manipuliere ich mein Umfeld. Diese Machtspiele können tiefe Wunden hinterlassen – in Familien, Freundschaften und Gemeinschaften.

    Die dritte Versuchung ist vielleicht die tiefgreifendste: sich an die Stelle Gottes zu setzen. In ihrer extremen Form erkennen wir sie in Wissenschaftlern, die glauben, den Menschen vollständig erklären oder gar neu erschaffen zu können. Doch auch hier lohnt der ehrliche Blick nach innen: Wie oft leben wir, als hätte Gott kein Mitspracherecht in unserem Leben?

    Dies geschieht, wenn wir uns anmaßen, autonom zu entscheiden, was richtig und falsch ist, ohne nach Gottes Willen zu fragen. Wenn wir unsere Komfortzone zum Maßstab aller Dinge machen. Wenn wir den Sonntag nach unseren Bedürfnissen gestalten, statt nach seiner Einladung zur Gemeinschaft. Diese alltägliche Selbstvergöttlichung ist vielleicht die heimtückischste aller Versuchungen.

    Die Ironie liegt darin, dass wir gerade in dem Moment, wo wir uns von Gott unabhängig wähnen, besonders anfällig werden für andere Abhängigkeiten: von der Meinung anderer, von gesellschaftlichen Trends, von flüchtigen Gefühlen. Wahre Freiheit findet sich nicht in der Loslösung von Gott, sondern in der bewussten Bindung an ihn.

    Liebe Gemeinde, der Glaube an Gott ist mehr als ein abstraktes Bekenntnis. Er fordert eine Antwort unseres ganzen Lebens. Wenn ich sage „Ich glaube an Gott“, muss dies Konsequenzen haben – in meinen Entscheidungen, meinen Prioritäten, meinen Beziehungen.

    Jesus zeigt uns in der Wüste, wie wir diesen Versuchungen begegnen können: nicht durch eigene Kraft, sondern indem wir uns auf Gottes Wort stützen. Bei jeder Versuchung antwortet er mit „Es steht geschrieben…“ – er verankert sich in einer Weisheit, die tiefer reicht als seine momentanen Bedürfnisse.

    In dieser Fastenzeit sind wir eingeladen, unsere eigenen Wüstenorte aufzusuchen. Orte der Stille und Selbstreflexion. Orte, an denen wir unseren Versuchungen ins Auge blicken und uns neu für Gott entscheiden können. Nicht aus eigener Kraft, sondern in dem Vertrauen, dass der, der selbst durch die Versuchung gegangen ist, uns auf diesem Weg begleitet.